4. Wie Plastik die Welt eroberte? Eine kurze Zeitleiste
Obwohl wir Ende des 19. Jahrhunderts noch nicht in der Lage waren, solch große Moleküle herzustellen, gab es im Laufe der Jahrhunderte zahlreiche Versuche, natürliche Polymere zu verändern. Diese führten u. a. zur Herstellung von Papier oder Gummi. So entstand um 1870 auch Zelluloid – der erste Kunststoff, den man mit dem heutigen Plastik vergleichen kann. Zu seiner Herstellung wurde das bekannte Verfahren der Nitrierung von Zellulose angewandt, das zuvor zum Beispiel zur Herstellung von Schießbaumwolle, dem damaligen Sprengstoff, verwendet worden war. Es stellte sich jedoch heraus, dass man, wenn man dieses Verfahren leicht abwandelte und der entstandenen Nitrocellulose andere Stoffe, wie z. B. Ethanol, hinzufügte, flexible Materialien erhalten konnte. Zunächst wurden sie als eine Art synthetisches Pflaster verwendet, später wurden aus ihnen Kämme, Knöpfe, Manschetten und Kragen für Hemden und viele andere Alltagsprodukte hergestellt (Quelle).
Versuche, natürliche Produkte zu ersetzen, führten einige Jahrzehnte später zu den ersten synthetischen Polymeren, die aus Substanzen hergestellt wurden, die nicht in der Natur vorkommen. Der erste kommerziell hergestellte synthetische Kunststoff wurde um 1907 von dem Chemiker Leo Baekeland entwickelt. Der belgische Wissenschaftler entdeckte ein Material, das einige der Eigenschaften von Zelluloid aufwies. Er bemerkte auch, dass man, wenn man es ein wenig veränderte und verschiedene Zusätze hinzufügte (Holzstaub, Ruß oder Kieselerde) einen wertvollen, chemisch resistenten und sicheren Kunststoff erhalten konnte. Bakelit eroberte sofort die Welt, denn es war das erste leichte Material und ermöglichte die Herstellung verschiedenster Produkte: von Telefonen über Haushaltsgeräte und Schallplatten bis hin zu Designelementen für elegante Autos (Quelle).
Das zweite natürliche Polymer neben Zellulose, das im 19. Jahrhundert die Aufmerksamkeit der Forscher auf sich zog, war Naturkautschuk. Zunächst wurde er hauptsächlich zur Imprägnierung von Stoffen verwendet, später – nach der Entdeckung des Vulkanisationsverfahrens – begann die rasante Entwicklung der Kautschukindustrie. Gleichzeitig wurde er zum Gegenstand der Forschung, die zu zwei grundlegenden Entdeckungen führte, die die moderne Polymerchemie begründeten. Es wurde gezeigt, dass Kautschuk in kleine organische Moleküle zerlegt werden kann, und ein Dutzend Jahre später wurde bewiesen, dass durch deren chemische Umwandlung ein ihm immer noch ähnliches Material hergestellt werden kann. Diese Entdeckungen kamen den Forschern bei Bayer zugute, die 1914 mit der Herstellung des ersten synthetischen Kautschuks begannen (Quelle).
Der eigentliche theoretische Durchbruch gelang jedoch um 1920, als der deutsche Wissenschaftler Hermann Staudinger feststellte, dass neue natürliche und synthetische Materialien aus großen organischen Molekülen – Polymeren – zusammengesetzt sind. Der ultimative Beweis für die Anerkennung durch die Forscher jener Zeit war die Verleihung des Nobelpreises für Chemie an Staudinger im Jahr 1953 (Quelle).
In der Zeit um den Zweiten Weltkrieg gab es eine überwältigende Anzahl von Innovationen in den Bereichen Kunststoff und Chemie. Nahezu die gesamte verarbeitende Industrie auf der ganzen Welt konzentrierte sich auf die Herstellung von Materialien, die haltbar, kostengünstig, leicht und schnell zu produzieren waren. Das neu geschaffene expandierte Polystyrol wurde zur Wärmedämmung und Stoßdämpfung in Fahrzeugen verwendet. Aus PVC wurde alles hergestellt, von Zeltplanen und wasserabweisenden Beschichtungen für Uniformen bis hin zu Handgranaten und Panzerteilen. Flugzeugcockpits, Reifen aus synthetischem Kautschuk, Schutzbrillen, Helmfutter und sogar Bauteile für die Atombombe wurden aus Kunststoffen hergestellt. (Quelle).
In der Welt nach dem Zweiten Weltkrieg haben laborsynthetisch hergestellte Kunststoffe praktisch eine Lebensweise definiert. In den 1950er Jahren wurde Kunststoff in den Lebensmittelsektor eingeführt. Das Aufkommen von Fast Food – angeheizt durch Unternehmen wie McDonalds – und der Anstieg der Kunststoffproduktion führten zu einer Essenskultur zum Mitnehmen, bei der die Menschen weltweit Plastikbesteck verwendeten. Dies war der Beginn der nicht nachhaltigen Verschwendung, die die Welt noch heute plagt. In den 1970er Jahren setzten die Supermarktketten Plastiktüten in großem Umfang ein (Quelle).
In den letzten zehn Jahren hat sich der Trend zu biologisch abbaubaren Verpackungen verstärkt. Von den späten 2010er Jahren bis heute sind neue alternative Verpackungskonzepte wie biologisch abbaubare Flaschen und Flüssigkeitsverpackungen auf dem Vormarsch.
Während der Covid-19-Periode stellte die Fast-Food-Branche im Zuge einer Zunahme der Lebensmittellieferungen auf Verpackungen aus Karton und Papier um.
Illustratives Schema für die Zeitachse der Kunststoffentwicklung.
Quelle: Heinrich Böll Stiftung (2019). Plastic Atlas, p. 11.
Quelle: Heinrich Böll Stiftung (2021), Plastik, Müll und ich, p. 44